Sexualisierte Gewalt - Ein gesellschaftliches Thema Sexualisierte Gewalt hat kein Gesicht. Sie hinterlässt meist keine sichtbaren Spuren. Sexualisierte Gewalt findet im Verborgenen statt. Nicht erst das Bekanntwerden zahlreicher Missbrauchsfälle in Kirche, öffentlichen und privaten Einrichtungen (2010), Lügde, Bergisch-Gladbach, Münster (2020) und Wermelskirchen (2022) hat gezeigt, wie wichtig der Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt ist. Kinder können sich nicht zur Wehr setzen und leiden oft ein Leben lang unter den Folgen. Die aktuell aufgedeckten sexualisierten Gewalttaten an vielen Kindern durch Täter*innen, die über Deutschland verteilt sein sollen, erschüttern uns als Fachleute sowie von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen zutiefst. Die Berichte von unerträglichen Bildern und riesigen Datenmengen rufen starke emotionale Reaktionen hervor, die auf unterschiedliche Arten verarbeitet werden. Durch die öffentliche Berichterstattung sind viele Menschen aufgewühlt, erinnert und betroffen. Das Telefon in der Beratungsstelle klingelt sehr häufig. Jugendliche, Erwachsene, Angehörige und Vertrauenspersonen greifen zum Hörer. Lehrer*innen sind besorgt und wünschen sich mehr Prävention für ihre Schüler*innen. Betroffene sind ermutigt, ihr Schweigen zu brechen. Andere fühlen sich von der Berichterstattung unter Druck gesetzt und werden von Erinnerungen überwältigt. Manche sind verunsichert, wie sie sich verhalten sollen. Vielen kann durch Erstgespräche, Krisenintervention und längerfristige Beratung ein zeitnahes Angebot in der Beratungsstelle gemacht werden. Das Erleben von Betroffenen Sexualisierte Gewalt – gleichgültig ob sie aktuell erlebt wird oder in der Vergangenheit eines Menschen stattgefunden hat – geht auf Seiten der Betroffenen immer mit massivem Erleben von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein einher. Die meisten Menschen entwickeln als Gegenstrategie ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Kontrolle und Selbstbestimmung. Dieses Bedürfnis bzw. das andauernde Gefühl von Unsicherheit und Schutzlosigkeit steigert sich noch, wenn die Betroffenen keine genauen Erinnerungen an ihre Täter*innen haben, der Täter*innenkreis so groß ist, dass es nicht mehr gelingt, eine einzelne Personengruppe zu isolieren, oder die Täter*innen sich verborgen haben z.B. hinter Masken oder Verkleidungen, wie es in organisierten Kreisen der Fall sein kann. Ein weiterer eng mit dem Thema verbundener Aspekt sind die körperlichen Reaktionen, die schon allein aufgrund der erlebten Angst zu den Gewaltsituationen gehören: Panikreaktionen wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel, um nur einige zu nennen. Viele Betroffene erleben diese Körperreaktionen ihr Leben lang, wenn sie etwas ängstigt. Dies ist eine dauernde Herausforderung in Alltag, Beruf oder Beziehung. Sexualisierte Gewalt passiert täglich und überall Wir Fachleute aus spezialisierten Beratungsstellen zu sexualisierter Gewalt und aus anderen Beratungsstellen wissen, dass sexualisierte Gewalt kein selten auftauchendes Einzelphänomen ist, sondern täglich passiert, mitten unter uns, in Familien, sozialem Umfeld, Institutionen. Sie passiert unabhängig von Bildungsgrad und sozialer Herkunft, sie betrifft Kinder, Jugendliche und Erwachsene jeglichen Geschlechts. Wir wissen auch, dass das Gelingen von Schutz und Aufarbeitung abhängig ist von einem komplexen Zusammenspiel struktureller und personeller Faktoren. Sexualisierte Gewalt ist vor allen Dingen Gewalt, die mittels sexueller Handlungen, oft ergänzt durch körperliche und emotionale Gewalt ausgeübt wird. Dabei steht vor allem der Aspekt der Macht im Vordergrund, eine Macht, die dazu führt, dass Kinder und Jugendliche benutzt werden. Bei der öffentlichen Debatte liegt der Fokus häufig auf dem sexuellen Aspekt, der Frage nach sexueller Neigung, Pädosexualität, was den Machtaspekt aus dem Fokus nimmt. Sexualisierte Gewalthandlungen sind strategische Taten, gut vorbereitet und bestmöglich vor Entdeckung geschützt. Sie finden im Verborgenen statt, Betroffene werden auf unterschiedliche Weise zum Schweigen gezwungen. Besonders Kinder und Jugendliche sind durch Androhung von Gewalt und etwaigen Verlusten von geliebten Menschen so gut unter Druck zu setzen, dass sie alles tun, um die Taten zu verdecken. Aus dieser Verstrickung in die Frage nach Schuld und Verantwortung kommen sie alleine meist nicht heraus. Hinzu kommt, dass Täter*innen häufig zwei Gesichter haben, engagiert und unbescholten auftreten können und sowohl die Kinder als auch andere Erwachsene täuschen. Auch die Rechtslage in Bezug auf den Beweis der Taten und die Definition von Kindeswohlgefährdung erschweren die Aufdeckung und das Eingreifen von außen. Fachliche Forderungen Zartbitter in Münster und andere Fachberatungsstellen haben schon lange fachliche Forderungen, um Kinder und Jugendliche besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen: Diskussion des derzeit geltenden Rechtsbegriffs, der rechtlichen Situation von Betroffenen in Strafverfahren und der Definition von Kindeswohlgefährdung Prävention muss immer zusammen mit Intervention gedacht werden. Es braucht ein flächendeckendes und bedarfsorientiertes Netz spezialisierter Fachberatungsstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt Verpflichtende Fortbildungen zu (organisierter) sexualisierter Gewalt und deren Dynamik und über Strategien von Täter*innen für alle Personengruppen, die in diesem Kontext relevant sind wie z.B. Richter*innen, Polizei, Pädagog*innen oder Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen Unsere Arbeit orientiert sich an dem, was betroffene Kinder und Jugendliche brauchen Prävention fängt bei den Erwachsenen an! Deshalb müssen sie wissen wer ihnen hilft, wenn sie helfen wollen. Präventionsangebote allein für Kinder und Jugendliche lassen diese mit der Verantwortung für ihren Schutz alleine. Kinder und Jugendliche, die immer wieder Gewalt durch Erwachsene erleben wissen oft nicht, dass sie Rechte haben, oder glauben, dass diese Rechte für sie nicht gelten. Respektvolle und grenzachtende Erfahrungen geben ihnen zumindest die Idee davon, dass es auch für sie anders sein kann. Ihnen wieder echte Wahlfreiheit zu geben und den Wert von Bedürfnissen und Wünschen spürbar zu machen sind wesentliche heilsame Erfahrungen, die der Verarbeitung von Gewalterfahrungen einen Sinn geben und Ziele möglich machen. Gewaltsituationen, die zum “Alltag“ von Kindern und Jugendlichen gehören, lassen sie glauben, dass es keine Perspektive und Hoffnung auf ein anderes Leben gibt. Sie verlieren den Blick auf sich selbst als Menschen, die mehr sind als nur diejenigen, die von anderen benutzt werden (dürfen). Sie brauchen viel Zeit und Möglichkeiten, sich wieder als jemand wahrnehmen zu können, der Talente und Fähigkeiten hat, mit denen ein Leben gestaltet werden kann. Kinder und Jugendliche brauchen Erwachsene, die sich sicher fühlen im Gespräch über Sexualität und sexualisierte Gewalt. Mut machende sachliche Aufklärung und Unterstützung, mit der Emotionalität des Themas umgehen zu können helfen, dass Kinder und Jugendliche sich schneller an Erwachsene wenden, wenn sie Gewalt erleben. Wir sind da Die Mitarbeiter*innen von Zartbitter in Münster stehen dafür mit unterschiedlichen Angeboten zur Verfügung. Ob über die Onlineberatung, während der telefonischen Sprechzeiten oder persönlich sind wir für Betroffene, Angehörige, Bezugspersonen und auch für Fachleute, Ansprechpartner*innen. Dabei sind uns erste Gedanken, unsortierte Fragen und konkrete Anliegen gleichermaßen willkommen. Die Beratungsstelle ist täglich besetzt, auch über die angegebenen Sprechzeiten hinaus.